Max
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH, PHD-Student, Mitgründer des ersten Schweizer First-Gen Network
Kannst du dich noch daran erinnern, wie du dich für ein Studium im Allgemeinen, aber auch für eine bestimmte Fachrichtung, entschieden hast und was oder vielleicht wer für da dich bei entscheidend war?
Also grundsätzlich war es so, dass ich im Gymnasium gewesen bin, also nach der Grundschule gute Noten hatte, dann ins Gymnasium gekommen bin. Ich habe in Deutschland meinen Bildungshintergrund oder meine Bildungsreise gestartet. Ich habe dann das Abitur (Matura) gemacht und da kam die Frage, was macht man dann?
In meinem Umfeld war es so, dass viele Menschen eine Ausbildung (Lehre) gemacht haben. Studieren war für mich nie ein Thema, und die Universität war während der Abiturzeit eher eine Institution, die existierte, aber nicht Teil meiner Lebensrealität war. Nach dem Abitur habe ich bei meinem Vater auf dem Bau gearbeitet, um pragmatische Tätigkeiten zu vertiefen. Das hat nicht gut funktioniert, da ich handwerklich ungeschickt war.
Nach Gesprächen mit meinen Eltern kam der Punkt, dass ich studieren könnte. Für mich war das zunächst unklar, aber wir entschieden, es einfach mal zu probieren. Meine Eltern, die durch den Jugoslawienkrieg nach Deutschland kamen, hatten nie die Möglichkeit zu studieren, also ermutigten sie mich. Ich bewarb mich für ein Psychologiestudium, obwohl ich dachte, ich würde nicht angenommen werden. Überraschenderweise klappte es, und ich begann mein Studium.
Frage 2: Wie hast du den Studieneinstieg und das Studium miterlebt? Wie hast du dich am Anfang gefühlt oder zurechtgekommen und wie war es während des Studiums?
Bei mir war es wirklich am Anfang so, dass ich das Gefühl hatte, ich bin zwar hier, aber na ja nicht so richtig. Insbesondere weil ich relativ schnell halt auch in der Psychologie viel mit Menschen zu tun hatte, die glaube ich eher aus einem privilegierteren Kontext kommen. Nicht, dass ich behaupte, ich wäre unterprivilegiert, aber die noch mit mehr Privilegien einhergehen. Häufig waren das so Kleinigkeiten, die mir irgendwie dann am Anfang gezeigt haben, irgendwas stimmt oder passt nicht so ganz.
Also es waren dann so Kleinigkeiten und Aussagen wie “Hey ja, ich war jetzt über den Sommer in Australien Work and Travel”. Ich wusste, dass Menschen Work and Travel machen, aber das sind nicht Menschen wie ich ein Mensch bin. Das war so irgendwie, mir ist ganz schnell klar geworden, es gibt viele Sachen, die ausserhalb meines Kosmos irgendwie stattfinden. Hatte ich aber ganz schnell Kontakt mit Leuten, wo ich sagen musste, das sind Menschen eigentlich wie ich auch. Ich bin ja auf der gleichen Ebene wie die und die machen so Stuff. Es waren relativ viele Kleinigkeiten, die dann summiert, doch so ein Gefühl gaben, irgendwie kommen wir von anderen Ufern, ohne betiteln zu können, welches Ufer ich jetzt eigentlich meine. Das waren dann so Sachen wie “Work and Travel” oder “Hey, ich habe ein Freiwilligen-Jahr gemacht”.
So die Idee gab’s bei mir gar nicht, und mir hätte niemand nein gesagt, aber es gab es nicht. Für mich war klar, wenn die Schule vorbei ist, dann suche ich quasi meine nächste tägliche Aufgabe / Job. So ist das Leben, du verlierst einen Job oder du hast einen Job abgeschlossen, du gehst in den nächsten Job rein. Das waren lauter so Sachen, wo man so ein bisschen angeeckt ist, ohne dass jetzt jemand gross negative Kommentare ausgedruckt hat. Aber man war halt irgendwie anders. Genau das habe ich dann relativ lang im oder intensiv im ersten Semester versucht auszuleben, diese Andersartigkeit.
Das hat sich auch in Kleinigkeiten gezeigt, wie dass ich absichtlich immer Jogginghosen getragen habe, so egal ob Universität oder irgendwas, einfach nur um mir irgendwie diesen Vibe zu geben von ich bin nicht wie ihr, ich bin was anderes. Was im Nachhinein gesehen ja nichts anderes als ein Coping Mechanismus war. Also nichts anderes als ein bisschen sich selber quasi den Stempel noch mal extra aufzudrücken, damit es halt nicht von anderen aufgelegt wird.
Mit dem ersten Semester war das dann integrationstechnisch, glaub ich, ganz gut. Also ich hatte nie das Gefühl, jetzt ausgeschlossen zu sein. Ich hatte nur das Gefühl, dass ich einen anderen Bezug einfach zu Sachen habe. Genau das hat dann bis zum, ja, ich würde so sagen, bis zum zweiten Semester, Ende zweites Semester hat es gebraucht, bis ich dann so ein bisschen das Gefühl hatte von ich bin angekommen.
Ich hatte dann das Gefühl, ich habe mich so ein bisschen eingelebt und ich habe auch so ein bisschen verstanden, wie das Spiel funktioniert, dachte ich jedenfalls so. Da ist die große Betonung, ich dachte jedenfalls zu wissen, wie das Spiel funktioniert. Und dadurch hat sich das dann auch ein bisschen gelockert. Insbesondere was für mich sich als eine ganz grosse Change ergeben hat, an der Universität ist die Möglichkeit von Entfaltung, die man nutzen kann. Also das war für mich wirklich ein massiver Umbruch, weil früher waren so Sachen wie sich ehrenamtlich engagieren oder quasi nach der Schule noch irgendwie in den Schulklub oder so, das machen irgendwie Streber, das ist nicht mein Vibe.
In der Uni habe ich verstanden, hey, da passieren richtig coole Sachen, also das macht auch einfach Spass und das ist cool und das hat für mich glaube ich so mit dem zweiten Semester massiv Anfahrt aufgenommen und das hat dann auch massiv mein Studiendasein geprägt, dass ich dann verstanden habe, hey sich sozial zu engagieren oder über den Tellerrand hinauszuschauen, was es auf dieser Welt noch gibt, macht einfach verdammt viel Spass und ist auch sehr interessant. Und das hat glaube ich das Ganze dann so ein bisschen gelockert und dann bin ich mehr auf diese Schiene gekommen.
Was mir massiv geholfen hat, war die Arbeiterkind.de-Gruppe, die in Konstanz gerade zu dem Zeitpunkt, als ich im zweiten oder dritten Semester war, gegründet wurde. Da war ich von Anfang an bei der Gründung mit dabei und das hat einfach wirklich viel geholfen in dem Kontext auch einfach das Gefühl zu haben, man kann über bestimmte Themen reden. Wie die Familie zum Studium steht, was studieren eigentlich bedeutet? Wann beendest du eigentlich dein Studium oder was planst du danach? Du bist im dritten Semester und hast keine Ahnung und bist froh, wenn du das Semester beendest und dann schaust du mal weiter. Du bist halt schon massiv überfordert überhaupt zu wissen, was du für ein Seminar wählst, also das sind alles so Kleinigkeiten, die massiv verunsichern.
Ich dachte, ich bin eigentlich jetzt im Game drin, aber irgendwie dann doch nicht so. Als ich eine gewisse Sicherheit im “Wie läuft die Uni ab?” bekommen habe, hatte ich eine Unsicherheit bekommen, wie es läuft mit Uni und Familie und gegen Ende des Studiums verunsicherte mich aber das Studium wieder, weil natürlich die Bachelorphase sich beendet hat und was jetzt?
Frage 3: Du hast ja die Familie erwähnt, die Anfang bei der Wahl entscheidend war, ja auch offen und unterstützend. Du hast aber auch gesagt, dass du nachher doch auch Studium und Familie handeln musstest. Was meinst du damit?
Also eine Sache ist auf alle Fälle ein finanzieller Aspekt, also Studium muss man sich halt auch leisten können. Grundsätzlich war es jetzt, würde ich sagen, nie ein Ding, dass meine Eltern gesagt haben, das können wir uns nicht leisten oder so, sondern es war eher so ein Punkt von es war klar, dass ich arbeite. Also weiss ich nicht, das Thema kam nie auf, genau diese Frage hat sich nicht gestellt, sondern ich arbeite.
Und ich hatte auch massiv Glück, was Bafög angeht, also ich glaube, in der Hinsicht muss ich wirklich sagen, das Stipendium war Lebensretter in diesem Kontext. Aber zum einen quasi das Monetäre, zum anderen auch so ein bisschen dieser Aspekt von niemand weiss, was studieren ist, aber trotzdem ist es jetzt Teil der Realität. Also wenn ich dann nach Hause gefahren bin und darüber geredet habe, hey Studium ist super stressig. Dann kamen halt so Kommentare wie “Hey, warum beschwerst du dich, ich meine, ich arbeite 8 Stunden am Tag am Bau. Und willst du so enden wie ich?” Und dann ist es so ein Punkt von nee, möchte ich nicht, ich akzeptiere auch vollkommen, dass deine Arbeit mitunter eine der schwersten ist, die man auf diesem Planeten tätigen kann, aber ich möchte trotzdem irgendwie ein Space haben, um sagen zu können, hey ich pfeife aus dem letzten Loch.
Und ich glaube, dass dieses Unverständnis von wie anstrengend eigentlich studieren sein kann, schwierig war. Und wieviel Unsicherheit auch sehr stark damit verbunden ist, weil man halt einfach nicht weiss, wie es vorangeht und weil das ja auch deutlich weniger getaktet ist, als man das ja eigentlich von der Schule kennt. Für mich hat es ewig gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es okay ist, mal nicht zu Vorlesungen zu gehen. Also das war einfach für mich am Anfang bis zum 3. oder 4. Semester so ein Ding von ich gehe zu Vorlesungen, denn das steht auf meinem Stundenplan. Es am Ende aber keinen interessiert, ob du da gewesen bist oder nicht.
Ein weiterer Aspekt war die Entfernung von der eigenen Familie, was Relevanz und Themen betrifft. Für meine Eltern war es wichtig, ein Auto zu haben, während ich mein Geld lieber sparen wollte. Diskussionen waren nie Teil unserer Familienkultur, während sie im Studium eine große Rolle spielten.
Im Studium taucht man in eine intellektuelle Welt ein, in der Themen wie Gendern und Postmigrantengesellschaft relevant sind. Diese Themen führten oft zu Missverständnissen mit meinen Eltern, die dann sagten: “Da kommt der Studierte.” Es hat Zeit gebraucht, damit umzugehen.
Ich glaube, eine Sache, die ich erst im Nachhinein verstanden habe, die für mich den finanziellen Aspekt ausgemacht hat, war die Regelstudienzeit einzuhalten. Für mich war von Anfang an klar, dass ich das Studium in der Regelstudienzeit durchziehen muss, weil mir sonst das Stipendium wegfällt und ohne Stipendium kein Zoran an der Uni.
Deswegen waren Sachen wie ein Auslandssemester oder eine Verlängerung nie ein Thema. Es war einfach klar, dass ich in der Regelstudienzeit fertig werde. Eine Anekdote dazu: Im dritten oder vierten Semester fand eine Re-Evaluation meines Bafögs statt, und plötzlich sollte ich nur noch 180€ bekommen. Das hat mich drei Wochen lang komplett aus der Bahn geworfen, bis sich herausstellte, dass es nur ein Zahlendreher war. Diese Unsicherheit hat Existenzängste ausgelöst. Arbeiten neben dem Studium war für mich normal, und ich kannte das Studium nicht ohne Arbeit. Das bedeutete, dass ich meine Zeit gut organisieren musste.
Bezüglich der Regelstudienzeit wusste ich, dass Bafög verlängert werden kann, wenn es triftige Gründe gibt, aber die Definition war unklar. Ehrenamtliche Tätigkeiten wären ein Grund gewesen, aber das war ausserhalb meines Kosmos. Anträge waren oft angsteinflößend und unverständlich, und ich hatte Glück, dass meine Mutter in der Verwaltung arbeitete und mir helfen konnte. Der Abbau unnötiger Hürden ist wichtig.
Frage 5: Was war deine Erfahrung nach dem ersten Abschluss, wie hast du die weiteren Schritte geplant?
Nach meinem ersten Abschluss wurde mir klar, dass ich das Studium nur als eine Liste von ECTS-Punkten gesehen hatte, die ich abarbeiten musste. Ich hatte vernachlässigt, dass man sein Studium gestalten kann. Andere hatten Praktika gemacht und wussten, in welche Richtung sie gehen wollten, während ich keine Ahnung hatte. Daher entschied ich mich, den Master zu machen, weil ich noch nicht wusste, wohin es gehen sollte.
In der Psychologie gab es damals nur einen Master, also hatte ich keine andere Option. Erst später wurde mir bewusst, dass ich auch einen Master in einem anderen Fach hätte machen können. Während des Masters hatte ich mehr Kontakt zu Wissenschaftlerinnen und anderen Leuten, die mir neue Wege aufzeigten. Trotzdem fühlte ich mich nie richtig wohl in der Psychologie, blieb aber auf diesem Weg.
Meine Familie konnte mir nicht wirklich helfen, da sie nicht wussten, wie sie mich unterstützen sollten. Freunde hatten oft schon klare Ziele, während ich noch unsicher war. Im Nachhinein hätte mir ein Jahr Pause nach der Schule gutgetan, um als Person zu reifen und mein Studium besser zu gestalten.
Heute mache ich einen PhD an der ETH. Für mich und viele andere mit einem First-Generation-Hintergrund ist der PhD der höchste Bildungsabschluss und ein logischer nächster Schritt. Ich wusste nicht, welcher Job zu mir passen würde, aber die Wissenschaft machte mir Spass, also probierte ich es. Vielleicht wollte ich auch einfach diese Geschichte in meinem Leben schreiben.
Nach dem Master war für mich klar, dass ich sofort weitermachen musste. Ein typisches Denken aus dem Arbeitermilieu, wo zum Leben das Arbeiten gehört. Ich hatte keine genaue Vorstellung davon, was ein Psychologe außerhalb der Universität macht, aber die tägliche Erfahrung an der Uni war mir vertraut.
Frage 7: Was sind deine Ratschläge an First-Generation-Students?
Ein Ratschlag, den ich mir selbst geben würde, ist, sich Zeit zu nehmen und milder zu sich selbst zu sein. Es ist wichtig, sich nicht zu sehr zu stressen, wenn man noch keinen Plan hat, während andere scheinbar alles im Griff haben.
Ein weiteres Paradox ist, dass man, wenn man feiert, dass man First-Gen ist, diesem Hintergrund weniger Gewicht gibt. Es hilft, sich selbst zu erklären, ohne sich die Schuld zu geben, und reduziert den Einfluss dieses Hintergrunds auf das eigene Leben.
Gestalte dein Studium und nutze die Chance, auch Dinge zu tun, die vielleicht sinnlos erscheinen. Die schönsten Erfahrungen entstehen oft, wenn man etwas Neues ausprobiert. Ob es ein Malkurs oder zusätzliche Philosophie-Kurse sind, probiere es einfach aus.
Es ist wichtig, Gelegenheiten zu ergreifen und nicht immer alles zu überdenken. Man muss die Balance finden zwischen Dingen, die sich ergeben, und solchen, auf die man hinarbeitet. Oft ist es weniger schlimm, als man denkt.
Netzwerken und der Austausch mit anderen, die einen ähnlichen Hintergrund haben, sind unglaublich wertvoll. Solche Begegnungen können entscheidend sein, um Informationen und Unterstützung zu erhalten. Personen und Organisationen, die diesen Hintergrund verstehen, sind extrem wichtig für den Werdegang.er später zahlen und das längstens herausholen. Im Namen der Chancengleichheit: Nehmt diese Stipendien.
Habt auch Spass am Studium. Und die Finanzierungsfrage erlaubt den Spass erst recht, weil ihr sorgloser seid, als wenn ihr euch noch um diese Frage kümmern müsst und nehmt einfach alles in Anspruch, was euch zusteht.
Erklärt euren Eltern, was ein Studium bedeutet, es ist ein harter Job.
Und die Ohren sowie Augen offen behalten und breit vernetzen.